Verpflechtung von Tradition und Moderne

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Herchet-Aufführung in der Kathedrale

Katja Neumann, 10. Mai 2014 (Dresdner Neuesten Nachrichten)

Wer nach Mexiko reist, wird ihr schwerlich aus dem Weg gehen können, der „Jungfrau von Guadalupe“. Ein Bild der Nationalheiligen hängt in fast jedem mexikanischen Haushalt, die ihr gewidme- te Basilika in Villa de Guadalupe vor den Toren von Mexiko-Stadt ist ein bedeu- tender Wallfahrtsort und eine wichtige Sehenswürdigkeit des Landes. Vor diesem Hintergrund ist es umso bemerkens- werter, wenn ein deutscher Komponist vom Erzbischof von Puebla den Auftrag erhält, ein abendfüllendes Werk über das Leben der Heiligen zu schreiben. Dem Dresdner Jörg Herchet wurde die- se Ehre zuteil, seine „Cantata para la Fiesta de Nuestra Señora de Guadalu- pe“ für Bariton, Vokalquartett, Chor und Instrumentalensemble wurde im April 2013 mit einheimischen Musikern in der Kathedrale von Pueblo erfolgreich ur- aufgeführt, allerdings noch in einer ver- kürzten Fassung. Jetzt konnte man an nicht minder würdiger Stelle in Dresden, nämlich in der Kathedrale, die erste Auf- führung des kompletten Werkes erle- ben.

Die Legende von der Heiligen ist rasch zusammengefasst: Im 16. Jahrhun- dert, kurz nach dem Einfall der Spanier, offenbart sich die Jungfrau Maria dem Indiojungen Juan, der seinerseits den Erzbischof für den Bau einer Kathedrale gewinnen soll. Erst nach einem „Rosen- wunder“ ist dieser tatsächlich überzeugt und lässt am Ort der Marien-Erschei- nung schließlich eine große Kirche errichten. Der Kantatentext des Theologen Jörg Milbradt orientiert sich eng an die- ser Geschichte und vermischt dabei die alte Indiosprache mit Spanisch, Latein und Deutsch. Alte und Neue Welt treffen hier freundlich aufeinander. Diese inte- ressante Verflechtung von ganz traditio- nellen und sehr modernen Elementen findet sich analog in der Musik wieder. Im solistisch besetzten Instrumentalen- semble sind – neben Flöte, Oboe, Violi- ne, Horn und vielen weiteren – zahlrei- che Instrumente der mexikanischen Ur- einwohner besetzt. So stehen europäisch vertraute Klänge neben ganz archaisch anmutenden, ungewohnten Tönen.

Generell setzt Herchet auf Klangbil- der, auf Stimmungen, ja im besten Sinne auf Effekte. Die Kantate ist für die Hul- digung einer Heiligen entstanden, und hier ist der bekanntermaßen sehr religiös geprägte Komponist ganz in seinem Element. Die Musik ist zutiefst positiv gedacht. Die Spannweite reicht von mar- kanter Rhythmik über minimalistisch ge- prägte, sphärische Klangbilder bis zu kraftvollen, mitreißenden Forteausbrü- chen. Die effektvolle Einbeziehung des Raumes erhöht die Wirkung. Wenn schließlich die Zuhörer gemeinsam mit den in der Kirche verteilten Musikern in traditionelle Hymnen einstimmen, zielt dies deutlich auf eine Art religiöses Ge- meinschaftsgefühl, das in Mexiko sicher noch mehr Eindruck hinterließ als beim hiesigen klassischen Konzertpublikum.

Dass man das Konzert zufrieden und um etliche interessante Erfahrungen rei- cher verließ, war nicht zuletzt der sehr geschlossenen Leistung aller Ausführen- den zu verdanken. Als Solisten sangen Clemens Heidrich (Bariton) und ein Vo- kalquartett mit Gertrud Günther, Uta Volkmar, Michael Käppler und Marcus Steffen. Mitglieder der Meißner Kanto- rei 1961 und die Dresdner Kapellknaben verbanden sich zu einem dichten und dabei wunderbar klaren Chorklang, die Musiker der Sinfonietta Dresden boten überzeugende Einzelleistungen. Die Ge- samtleitung lag in den Händen von Christfried Brödel, langjährig erfahren im Umgang mit neuer Musik und dem Werk Jörg Herchets. Auf ergriffene Stille folgte langer freundlicher Applaus.